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Drei Begegnungen mit Jan Hoet

10 Jahre 20 Wochen bei Edgar Diehl


Zum ersten Mal begegnete ich Jan Hoet in Gent. Ich war im Jahr zuvor in den Nassauischen Kunstverein in Wiesbaden eingetreten, um das Ausstellungswesen auch einmal von der Kuratoren- Seite her zu erfahren. Es war damals ungewöhnlich, dass Künstler in den Vorstand eines Kunstvereines gehen. Das führte zunächst zu bissigen Kommentaren und später zur Nachahmung.
Jan Hoet, der damalige Direktor des Museums van Hedendaagse Kunst in Gent war gerade als Leiter der im darauf folgenden Jahr stattfindenden documenta 9 gewählt worden. Gent war die Partnerstadt von Wiesbaden und ich fand, dass eine Ausstelluung mit Gentern in Wiesbaden stattfinden sollte. Städel (Hochschule für bildende Künste,Frankfurt) - Alumis hatten  in Frankfurt die Kunstzeitschrift ROGUE herausbrachten, für die ich schrieb. Damit hatte ich einen zweiten Grund nach Gent zu fahren. Ich wollte Jan Hoet interviewen.
Ein Genter Kollege, den ich in Wiesbaden bei seinem Artist in Residence- Stipendium betreut hatte, warnte mich. Jan Hoet sei ein Choleriker, ehemaliger Boxer und würde hin und wieder Künstler, die sich auf Eröffnungen daneben benehmen, aus dem Museum prügeln. Der Mann gefiel mir, denn einer, über den man so redet, leistet meistens Erstaunliches, was oft auch Neid erregt. Einige Jahre zuvor hatte er mit seiner Ausstellung „Chambres d´amis“, bei der er Genter Bürger veranlasst hatte, in ihren Wohnungen Künstler zu präsentieren, Furore gemacht.

Gent hat eine herrliche alte Architektur und war einst durch Leinenproduktion eine der größten und reichsten Städte Europas. Der genius loci einer Stadt ändert sich nie. Kultur, Küche, Wohnen, Kunst bleiben auch bei beschränkteren Mitteln auf einem hohen Niveau. So auch in Gent. Dort gibt es z.B zwei verschiedene Kunstakademien.

Als ich das Museums Museum van Hedendaagse Kunst umrundete, fiel mir auf, dass es auch hier nach flämischer Tradition keine Vorhänge und Jalousien gab, und man die Mitarbeiter bei ihrer Tätigkeit durch die Fenster beobachten konnte. „Bei uns kann jeder sehen,was wir machen“, lautet das Credo protestantischer Ethik! In einem der Büros sah ich Jan Hoet. Er lehnte an seinem Schreibtisch und las mir gesenktem Blick in einem Buch. Ich ging hinein und fragte, ob ich ihn sprechen könne. Der Sekretär sagte Jan Hoet sei nicht da. Ich antwortete, dass mir sein Doppelgänger, den ich in einem Büro von draußen gesehen hatte, für mein Interview genügen würde. Nach 5 Minuten Diskussion mit dem Adlatus erschien Jan Hoet in der Tür. Nicht ich, sondern er war verlegen. Wir sprachen eine Weile über das Interview, das ich wünschte und er bat mich, ihn nach 6 Monaten in Kassel zu besuchen, wenn er in der Vorbereitungsphase der documenta sei, dann würde er auch besser deutsch sprechen. Warum nicht, ich hatte mehr erreicht, als ich erwartet hatte.

Ich hatte aber noch einen andere Mission. Eine Ausstellung mit Genter Künstlern im Nassauischen Kunstverein in Wiesbaden zu organisieren. Ich hatte von zu Hause aus den Leiter des Genter Kunstvereins gebeten, mir ein Portfolio mit den Dossiers von 50 interessanten Genter Künstlern vorzubereiten. Ich suchte Marc de Cock auf und wählte 25 Künstler aus der Mappe aus, und bat ihn, eine Besuchsagenda für einen Woche, im darauf folgenden Monat, zu organisieren. Er war kollegial und hilfsbereit und fragte mich, ob das mein Ernst sei, in einer Woche 25 Ateliers besuchen zu wollen. Ich verstand damals nicht, was das Problem sein sollte.

Frank Hellwig ein hervorragender Fotograf aus Kassel und ich bewegten uns 6 Tage per Rad durch Gent. Das war eine der interessantesten Wochen, die ich bis dahin erlebt hatte. Die Stadt war aufregend und damals voll von ausgelassenen Produktionsstätten. Die Behörden erlaubten den Künstlern auf kreative und teilweise abenteuerliche Art dort Ateliers einzurichten. Die Anzahl avancierter Kollegen erstaunte mich und am letzten Tag, an dem wir in einem Atelier einfach einschliefen, als man uns 5 Minuten warten ließ. Ich musste mich schnell entscheiden, denn die 5 Künstler, die ich in Wiesbaden zeigen wollte, waren in ihren Ateliers zwar von Frank fotografisch dokumentiert, aber noch nicht benachrichtigt und interviewt worden. Danny Mattys war der eloquenteste und gereiftetste der Künstler Gruppe. Als wir per Rad bei ihm vorfuhren lachte er schon. Vorstände vom Nassauischen Kunstverein Wiesbaden hatte er sich in einem Mercedes-Benz vorfahrend vorgestellt. Ich lernte viel von ihm über die Stadt und ihre Kulturszene. Kurz zuvor hatte Jan Hoet die Genter Künstler ausgesucht, die er auf der documenta zeigen wollte. Dergleichen wäre in Gents Partnerstadt Wiesbaden undenkbar gewesen: Ein Museumsleiter, der nicht ängstlich Abstand zu der Szene der Stadt hält, in der er wirkt. Eigentlich immer ein Ausdruck von Provinzialität und social climbing. Alle 5 Kollegen, die ich ausgesucht hatte, waren nach Auskunft lokaler Scouts auch auf Jan Hoets Liste gewesen. Entsprechend gut war unsere Stimmung in Gent. Unserer Runde durch die Ateliers hatte sich herumgesprochen. Wie intensiv, das erlebten wir, als wir am letzten Abend auf einer Vernissage wie Prominente umgarnt wurden.

Die Ausstellung und die Zeitung, die ich dazu herausbrachte, nannte ich nach einer Aussage Dannys zu seiner Haltung zum damals erhitzten Kunstgeschehen in Gent:„We are going slowly“. Die Eröffnung im NKV war ein durchschlagender Erfolg. Die Zeitung, die als Einladung verschickt wurde, hatte die damals 700 Mitglieder neugierig gemacht und es war proppenvoll. Bei der Eröffnung gab es 30 Neuzugänge.

Aber zurück zum Interview. Als ich Jan Hoet ein halbes Jahr später in Kassel aufsuchte, begrüßte er mich scherzhaft als Reporter der Zeitschrift VOGUE, worauf ich ihn mit „Harry Szeemann“ ansprach. Er hatte Humor. Pier Luigi Tazzi, sein Assistent, und der Fotograf Erhardt Schepf waren zugegen. Ich stellte Jan keine einzige Frage zur anstehenden documenta, was ihn ungemein entspannte. Ich wusste, dass das andere zur Genüge tun würden. Es ging nur um Kunstvermittlung, Lyrik, den Inzest der Kunst und die Weigerung der Historiker, das Publikum anzuleiten. Ein Zitat war bezeichnend. „Was ich wirklich hasse, ist wenn sich Leute über die Künstler stellen. Wir Kuratoren haben in der zweiten Reihe zu stehen.“  Die großen Ausstellungsmacher haben die Größe, ihre Künstler groß sein zu lassen, und sich nicht mit einem Konzept, einer Theorie, oder gar ihrem Ego vor sie zu stellen.

Die dritte Begegnung mit Jan Hoet fand 2012 in Wiesbaden statt. Die Wiesbadener Biennale, der „Wiesbadener Sommer“  fand in dem Jahr im Nerotal -Park statt. Im Thalhaus das am Rande des Parks liegt, war die Veranstaltung dazu. Jan war als Redner eingeladen. Die Kuratorin der Freiluftausstellung gestaltete ihren Vortrag und ein asiatischer Künstler zeigte einen langen und schlechten Film über sein Gartenprojekt in Südkorea. Es war dröge. Als Jan Hoet zu sprechen begann, wurde es hell im Raum. Man konnte erleben, wie Geist Licht erzeugt. Ich schaute unwillkürlich zur Decke, um zu prüfen, ob dort eine Zusatzbeleuchtung eingeschaltet worden war. Er sprach frei und ging auf den Ort ein. Was ist ein Park? Wie hat sich dessen Bedeutung mit der Zeit gewandelt? Warum ist er heute ambivalent und was bedeutet das für die Kunst? Dann ging er auf die Exponate ein und äußerte auf höfliche Weise Anerkennung und Kritik.

Wir verabredeten uns für den nächsten Morgen im Museum ,Wiesbaden, wo er zuvor einen Termin hatte. Das Abholen dauerte länger, denn es gab für den renommierten Kurator eine ausgedehnte Hausführung, an deren Ende sich der Hausherr die Ehre gab hinzuzustoßen. Es wurde vieles ausgetauscht. Für mich war das die Begegnung zwischen alter und neuer Schule. In Wiesbaden ging es damals um große Namen und internationale Anerkennung, bei Jan Hoet um junge Kunst, Experimentelles und Nähe. Als ich mit ihm in die Walkmühle einfuhr, atmete er auf. Die unrenovierte Fabrikanlage mit viel wildem Grün und die charmanten großen Ausstellungsräume beflügelten seine Phantasie. Er hatte schon zuvor vom Künstlerverein Walkmühle gehört, und den Besuch bei uns vorgesehen. In der Ausstellung „reich sein“ die damals gerade lief, ging er zielsicher auf ein Werk zu, das herausragte. Eine umgebaute und mit einer Vielzahl von Applikationen bestückten Kindergitarre des Wiesbadener Künstlers Markus Metz interessierte ihn. Ich halte Metz für den einzigen lebenden Fluxus.-Künstler in Wiesbaden, der auch existenziell das Erbe dieser Bewegung angetreten hat, ohne das zu beabsichtigen. Jan Hoet wollte mehr über diesen Künstler wissen. Ich schickte ihm Informationen, hatte dann aber nichts mehr von ihm gehört. Die Öffentlichkeit hatte nicht erwartet, dass er so schnell seinen Dienst an der Kunst quittieren würde. Er wird mit Harry Szeemann, Wilhelm Bode und anderen in den Olymp der großen Kuratoren der westlichen Welt eingehen.

Die wachsende Bedeutung ungegenständlicher Kunst

11 Jahre 2 Wochen bei Edgar Diehl

Das verstärkte Interesse an ungegenständlicher Kunst hat die letzte „art basel“ wieder gezeigt . Nach dem Urteil vieler Beobachter ist die gegenstandsfreie Kunst auf dem Vormarsch. In Süddeutschland sind in den letzten Jahren verschiedene Sammlungen Konkret – Konstruktiver Kunst an die Öffentlichkeit getreten. Meist hatten die Sammler, entgegen der Mode über lange Zeit Werke erworben und Aufbauarbeit geleistet. Die Kunsthalle Messmer in Riegel, die das Gesamtwerk des frühen Konstruktivisten André Evard beherbergt, lobt dieses Jahr zum dritten Mal den gleichnamigen Preis aus. Er ist der größte Preis für Konkret – Konstruktive Kunst und mit € 10.000 dotiert. Es haben sich dieses Jahr über 700 Künstler aus 35 Ländern beworben. Das reduzierte visuelle Vokabular und der gedankliche Hintergrund Vokabular, die auf die einzige Revolution zurückgehen, die in der westlichen Kunstgeschichte stattgefunden hat, ist lebendig und wird ständig weiterentwickelt.

Cruiz-Diez 60x120cm ca. € 120.000,verkauft

Carlos Criuz-Diez, 60 x 120 cm, ca € 100.000,- verkauft auf der art basel

 

Warum ist das so? Die radikale Gegenstandslosigkeit und Einfachheit in der Gestaltung sind mit ihrer nunmehr 100- jährigen Tradition trotzdem ein relativ neuer Ansatz. Kubismus, Surrealismus, Fotorealismus, Fotografie als Kunstgattung, die diversen Formen von Medienkunst wie Video, Film, viele Installationen etc., die sich zeitlich danach entwickelten, fußen meist auf gegenständlicher Darstellunge. Deren Tradition reicht zurück bis in die Vorgeschichte der Menschheit. Auch wenn heute jemand mit einem Computerprogramm Bildwelten zusammenstellt, bleibt er noch in dem jahrtausende alten Rahmen der Gegenständlichkeit. Diese hat mit der Entwicklung der Digitalisierung eine Verfügbarkeit über Bilder erreicht, die in einen Malstrom mündet. Reizüberflutung, Beziehungslosigkeit, das Zitat des Zitierten und dazu die Verweigerung eines sinnstiftenden Hintergrundes sind eigentlich die Gegenpole zu dem, was Kunst leisten kann. Sie haben sich aber in den Medien und auch Bereich der Bildenden Kunst ausgebreitet. Das der Rezipient jetzt nach dem Gegenteil sucht, ist zu verstehen.

Was ist der Vorteil für den Betrachter bei einer Kunst, die auf den Gegenstand verzichtet?

Zunächst ist der Betrachter stärker gefordert. Er bekommt keine wieder erkennbaren Formen angeboten, keine prominenten Symbole und seine biologischen Instinkte werden nicht angesprochen. Für den oberflächlich Interessierten ist das der Punkt an dem er sich abwendet. - Am nächsten Messestand gibt es Gegenständliches! Die Zweckbestimmung unseres Sehapparates, der auf Erkennen und auf Wiedererkennen von Formen und Sachverhalten ausgerichtet ist, zu verlassen und die Funktionen des Sehens als solche zu nutzen, das war immer das Anliegen der „Gegenstandslosen Künstler“! Beim Betrachter ist dazu ein Umdenken, ein anderes Sehen nötig. Die Elemente der visuellen Wahrnehmung von Umriss, Form, Raum, Unten und Oben, Kontrast und Farbe sind noch in Gebrauch, aber wie es scheint, um ihrer selbst Willen, und nicht als Transportmittel für die Illusion eines Gegenstandes. Diese Elemente werden im Gehirn, jedes für sich, in einem eigenen Zentrum verarbeitet. Z.B im Zentrum „Kontraste“, werden solche, die zu schwach sind verstärkt. Dann werden die Bilddaten mit einander in Einklang gebracht und dabei passiert etwas Erstaunliches: Der Rückgriff auf die Sehgeschichte des Betrachters ist entscheidend für das Bild, das vor seinem Inneren Auge entsteht. D.h. was ein Mensch schon als Struktur kennen gelernt hat, wird mühelos aus den vorhandenen Sehdaten heraus wieder so interpretiert, wenn passende Daten angeboten werden. Ist das nicht der Fall, dann wird diese Struktur, oder auch ein Gegenstand nicht gesehen.

Jeder Künstler erlebt das von der „positiven Seite“ wenn er mit einem Freund spazieren geht und diesen auf das eine oder andere aufmerksam macht. Oft bekommt er am Ende des Spazierganges zu hören, dass er ganz anders und vor allem viel mehr sehe. Was Wunder, die Ausübung der bildenden Kunst ist ein ständiges Sehtraining. Wenn man zur Kalkulation zieht, dass bis zu 50% der Gehirnzentren mit der Verarbeitung der Sehdaten zu tun haben, lässt sich ermessen, welches ungeheure Entwicklungspotential hier für den Laien liegt. Das Angebot einer Kunst, die darauf verzichtet, dem Betrachter zu bieten, was er schon tausendfach gesehen hat, - Gegenstände - , bedeutet, ihn an dem Entwicklungsprozess, den Künstler fortlaufend machen, teil nehmen zu lassen.

Auch einen Maler des Realismus interessieren nicht die Äpfel auf dem Stillleben das er malt, sondern die Raumverhältnisse, Farbzusammenspiel, Kontraste, Spiel der Formen, Komposition mit ihren Gewichten und Gegengewichten. Mit Cézanne wurde das besonders deutlich. Er hatte seine Kollegen von Anfang an inspiriert. Von Cézanne zu dem Punkt, wo man das Stillleben ohne Äpfel malt, ist ein keiner aber konsequenter Schritt. Nicht viele Künstler nutzen diese Aufbauarbeit der Vorgänger- Generationen. Die, die es tun, sind für mich die Interessanten.

Wie gesagt, die Gehirnforschung hat in der letzten Dekade große Fortschritte gemacht und interessante Fakten ans Licht gebracht : In dem o.g. Verarbeitungsprozess visueller Daten wird also ein Bild produziert, für welches das mit die Augen empfangenen Bildsignale nur eine Materiallieferung darstellen. Denn, und das hat auch mich frappiert, 90% dessen, was wir als „gesehenes Bild“ erleben, stammt aus unserem Bildspeicher und den bei früheren Sehakten gewonnenen und hier neu angewandten Erkenntnissen. Nur so kann die Raumordnung, die Morphologie des Untergrundes, die Entfernung der Gegenstände von uns, deren Bedeutung etc. erkannt werden. All das musste über einen langen Zeitraum hin erlernt werden und es funktioniert danach scheinbar mühelos. Der immense Rechenaufwand, der dabei geleistet wird, wird kaum bemerkt. Man kann das Maß der Freiheit für die Sehvorgänge nur erahnen, das daraus folgt, wenn man sich diese Prozentzahl vergegenwärtigt.

Ein Bildangebot, das den Bildspeicher mit seinem „Erlernten Sehen“ nicht nutzt führt das Sehen auf eine grundlegendere Ebene zurück und ermöglicht so neue Erfahrungen. Man könnte sogar sagen, dass ohne diesen Verzicht auf das, was die Theoretiker „Sehkonvention“ nennen, es keine neue Bilderfahrung geben kann. Dass das Denken zum großen Teil in Bildern stattfindet, war lange nicht gesichert, ist aber seit neuerer Zeit stand der Wissenschaft. Könnte ein neues Sehen auch ein neues Denken ermöglichen? An diesem Zusammenhang zwischen Gegenstand, oder dessen Ausschluss, dem Sehen und dem Denken, setzt die Experimentierfreude der Künstler an. Einige Sammler und Rezipienten gehen den Weg begeistert mit. Wiesbaden 12.07. 2013

Begegnung mit Prof. Eugen Gomringer einem Zeitzeugen / einer wandelnden Legende

11 Jahre 8 Wochen bei Edgar Diehl

Wer sich im 21. Jhd. für bildende Kunst interessiert findet, im neuen, bisher kurzen Jahrtausend keinen künstlerischen Impuls, von dem man annehmen kann, dass er die Jahrzehnte überdauert und evtl. das Jahrhundert prägen wird.Blickt man zurück ins 20. Jhd., fällt eine Bewegung ins Auge, die so herausragt, dass man sich mit Recht fragen kann, ob es in der Geschichte der Kunst etwas Vergleichbares gegeben hat. Als vor 100 Jahren in verschiedenen Ländern Europas Künstler den Drang verspürten, eine Kehrtwendung zu machen und sich radikal vom außerbildlichen Gegenstand visueller Darstellung abwandten, kam es eine Umwälzung, die stilbildend wirkte und mit der Zeit den ganzen Bereich der visuellen Gestaltungsdisziplinen erfasste. Malewitsch, Mondrian, Arp, voan Doesburg und andere waren die Pioniere einer Bewegung, die später mit dem Bauhaus die einzige weltweit wirksame Gestaltungsschule hervorbrachte. Ihrer Kunst gaben sie den erklärungsbedürftigen Namen „Konkrete Kunst“.

Wer es schafft, den in uns Menschen verankerte Wiedererkennungstrieb zu überwinden, und einem Werk der bildenden Kunst erwartungsfrei gegenüber zu treten, erfährt sich selbst auf eine neue Art, und hebt Schätze visueller Erkenntnis.

Obwohl die Konkrete Kunst, die man in einigen Ihrer Ausformungen auch Konstruktive Kunst nennt, lebendig ist, sich weiterentwickelt und ihren Einfluss ausübt, gibt es legendäre Vertreter dieser Richtung. Wenn man heute noch einmal einen Josef Albers für einen Vortrag gewinnen könnte, dann wäre das eine Weltsensation. Lebte Max Bill oder Gropius noch und könnte für eine Gestaltung beauftragt werden, dann würde das viele auf den Plan ziehen, Auftraggeber sein zu dürfen. Es gibt noch sehr lebendige Zeugen dieser Anfänge, die über einen Reichtum an Wissen und Kenntnissen verfügen.

Prof. Eugen Gomringer ist einer der aktiven Akteure und Mitgestalter der zweiten Geernation dieses Umbruches. Er wurde 1925 in Bolivien geboren und ist in der Schweiz aufgewachsen. Als Begründer der Konkreten Poesie hat er schnell Kontakt zu den Großen der Epoche bekommen. 1944 , als im Kunstmuseum Basel die erste Ausstellung Konkreter Kunst gezeigt wurde, begann er seine Studien der Ökonomie, Kunst- und Literaturgeschichte an der Uni Bern. 1953 gründete er mit Marcel Wyss und Dieter Roth die Zeitschrift „spirale“ in der er seine konkreten Gedichte veröffentlichte und die Absichten und Theorie der neuen Gestaltung darlegte. Prägend war seine Zeit von 1954 bis 1957 als Sekretär von Max Bill an der neu gegründeten Hochschule für Gestaltung Ulm. Dort wurde er dann 1958 Dozent für Information. Diese Akademie, die in Ulm entstand und das Erbe des Bauhaus antrat, brachte ihn in Austausch mit Josef Albers, Max Bense, Friedrich Vordemberge.- Gildeward, Johannes Itten etc.

Prof. Gomringer arbeitete auch für die Industrie, war von 1961-1967 Geschäftsführer des Werkbundes in Zürich und anschließend Kulturbeauftragter der Rosenthal Ag in Selb in Hochfranken. Das berühmte Porzellanwerk, das von Walter Gropius gebaut wurde, hatte ein Programm aufgelegt, in dem 100 Künstler aufgefordert wurden, Produkte zu gestalten. Prof. Gomringer war dafür der richtige Mann.

1977 bis 1990 wurde er Professor für die Theorie der Ästhetik an der Akademie Düsseldorf. Die Hochschule für Gestaltung, die 1967 leider schloss lebte 1988 als Internationales Forum für Gestaltung wieder auf dessen Intendant er mehrmals war. Seine Vorlesungen führen ihn durch Europa, und Nord- und Südamerika. Seine mittlerweile stattlich angewachsene Sammlung Konkreter Kunst fand 1992 im ersten Museum seiner Art in Ingolstadt, dem Museum für Konkrete Kunst, ihren Ort in Deutschland.

Im Jahr 2000 ließ er sich im hochpfälzischen Rehau nieder, und gründete dort mit seiner Frau Nortrud , einer promovierten Germanistin und seinem Sohn Stefan das IKKP, Institut Konkreter Kunst und Poesie. In dem hervorragend umgebauten Schulhaus gegenüber der Kirche mit einem Skulpturenpark davor arbeitet er an seinen vielfältigen Projekten und betreibt mit seinem Sohn Stefan, das Ausstellungshaus für Konkrete Kunst.

Im März diesen Jahres besuchte er zusammen mit Stefan Gomringer mein Atelier, um die Arbeiten für die Ausstellung auszusuchen. Als er mich an der Tür in seinem Schweizer Akzent mit den Worten begrüßte. „ Herr Diehl, wir danken Ihnen, dass wir bei Ihnen sein dürfen“, bekam ich den ersten Eindruck von seinem Humor.

Anschließend bei einer Exkursion zum nahe gelegenen Kloster Eberbach im Rheingau, führte er uns, der er zum ersten Mal dort war, über die große Anlage der ehemaligen Zisterzienserabtei. Was Wunder, dass der Poet und Theoretiker der Konkret- Konstruktiven Kunst, die Hinterlassenschaften dieses Ordens eingehend studiert. Waren nicht die Bauvorschriften der Zisterzienser nicht die erste Verwirklichung des Gedankens der Formreduktion zu Gunsten von Spiritualität? Beeindruckend der schmucklose Innenraum der Basilika, in dem die Elemente von Raum, Licht und Klang ungestört zur Wirkung kommen. Obwohl der Zisterzienserorden mit 500 Klöstern der wirtschaftlich erfolgreichste seiner Zeit war, blieb der innere Zugang zum Sinn einfacher und klarer Gestaltung bis heute ein Thema von Reformation und Umwälzung. Im mentalen Zweikampf zwischen mondänem Schmuckbedürfnis und der geistigen Suche nach dem Ursprung, bleibt der Sinn für die Bedeutung von Einfachheit zur Erlangung von Inhalt einer gebildeten Elite vorbehalten!

Joanne Brackeen spielte in Wiesbaden für einen kleinen Kreis von Fans

11 Jahre 17 Wochen bei Edgar Diehl

Wenn Freunde und Bekannte von einem Besuch aus Berlin nach Wiesbaden zurückkommen und schwärmen, beleibt es nicht aus, dass sie Berlin mit Wiesbaden vergleichen. Wenn ich sie dann frage, was sie in der Bundeshauptstadt alles gesehen haben, kommt raus, dass sie dort oft Wege von jeweils mehr als 30 Minuten zurücklegten um von A nach B , von B nach C und wieder zurück nach A zu kommen. Auf unsere Region übertragen hieße das, man besuchte als Wiesbadener ein Museum in Frankfurt, danach ein Konzert in Darmstadt und würde in Mainz noch einen Absacker trinken, bevor es wieder nach Hause ginge. Tatsächlich bleiben aber alle in ihrer Stadt, so wie viele Berliner tun, die jahrelang ihren Bezirk nicht verlassen und von dem fulminanten Angeboten der Metropole Null mitbekommen. Wiesbaden kann man mit Berlin Dahlem vergleichen, liebe Freunde und Berlin mit dem Rhein-Main Neckarraum!!

Was eine Region zu bieten hat erschließt sich natürlich nicht wenn man nur „unterwegs“ - d.h. daran interessiert ist was sich kulturell lohnt - wenn man verreist. Kulturelle Highlights, gibt eigentlich überall. Als ich am Montagmorgen den 11.3. in mein Atelier radelte, nahm ich einen ungewöhnlichen Weg und traf dabei einen Wiesbadener Musiker, dem ich sonst selten begegne. Bei einem kurzen Talk bemerkte er, dass in der Kantine des Taunusfilm- Geländes, oben „ unter den Eichen“ in der „Camera“ am selben Abend Joanne Brackeen spielen würde. Ich war mit sicher, dass das nur ein Scherz sein konnte. In dem 60er Jahre Rundbau, in dem die Fachhochschüler und Mitarbeiter der Filmfirmen zu Mittag essen, wird die Weltgröße des Jazzpianos wohl kaum spielen. Und das noch ohne jede Ankündigung.

Joanne Brackeen, Foto Frank Deubel

Joanne Brackeen in Wiesbaden. Foto: Frank Deubel

Ich mache es kurz. Es war das eindrücklichste Jazzkonzert, das ich seit Jahren erlebt habe. Die begnadetet Pianistin spielte zusammen mit dem Saxophonisten Tony Lakatos,. Viele der Zuhörer, die Tony kannten, sagten, dass sie ihn noch nie so befreit haben spielen hören. Die mittlerweile 75 Jahre alte Joanne Brackeen, die im Alter von 15 ihre ersten Auftritte hatte, gab ein zweistündiges Konzert, in dem man alles vergaß und nur noch Musik war. Mir passiert das nicht oft. Die Tranzendenzerfahrung, die nach Sloterdijk die Menschen im Kuturbetrieb suchen, war bei diesem Konzert kollektiv. Vielleicht lag es gerade an dem schlichten Ambiente, der Bescheidenheit mit der diese großartige Frau und ihre Kollegen auftraten, und an der stillen Hingabe des ausgesuchten Publikums. Wunderbar wie Joanne mädchenhaft und erstaunt lächelte, wenn sie Zwischenapplaus bekam.

Wie kam es zu diesem musikalischen Höhepunkt, so im Verborgenen. Peter Schilbach ein Jazzbegeisterter Promoter organisiert Tourneen für Musiker und sorgt am Ende von Touren, wenn es geht, für einen Auftritt seiner Stars in der „Camera“. Das klappt immer nurnso kurzfristig, dass es weder in Presse noch in sonstigen öffentlichen Medien eine Ankündigung gibt. Wer in seiner Mailliste steht, wird benachrichtigt, wer auf der Website nachschaut erfährt es auch. (pschilbach@jazzmap.de) Joanne Brackeen hatte am Tag danach Aufnahmen mit dem WDR wie man hörte, und hatte den Montag frei. Den gab sie uns, Danke Joanne! Danke Peter!

Chinesische Staatskunst im Museum Ludwig in Koblenz

11 Jahre 25 Wochen bei Edgar Diehl

Als ich am Samstag 26.1. von Wiesbaden nach Koblenz fuhr, war das der dritte Versuch meinen Terminkalender mit den üppigen Schneefällen und dem Eisregen im Januar in Einklang zu bringen. Die linksrheinische Landschaft lag unter einer geschlossenen Schneedecke und diese unter einem drögen grauen Himmel, der einen Autofahrer schläfrig machen konnte. Ein Glück, dass ich niemanden überredet hatte, zu begleiten, denn schon beim Aussteigen wurde man von einem schneidenden Wind in Minusgraden aufgeweckt, und was danach kam, war auch eine Art von Erwachen. Ein Kollege, hatte mir die Ausstellung empfohlen und im Nachhinein nehme ich an, er hat sie selbst nicht gesehen! Die erste Überraschung war das Gebäude. Wer das berühmte Museum Ludwig in Köln kennt, erwartet nicht, eine weitere Niederlassung in einem frühmittelalterlichen Gebäude, das 1250 als Niederlassung eines Pflegeordens, dem Deutschherrenoden, gebaut wurde. Heute merkte man dem Gebäude seine letzte Nutzung, die der Bauverwaltung der Stadt Koblenz leider noch an.

 

Die nächste Überraschung war die Ausstellung selbst. Wer einen Überblick über Positionen abstrakter chinesische Kunst erwartet hatte, so wie ich, wurde enttäuscht. Statt einem Angebot mit einer Anzahl von künstlerischen Positionen wurde man mit der kleinsten Anzahl von Künstlern bedient, die den Plural im Titel noch rechtfertigt : zwei !
Im ersten Geschoss begegnete man der Fotoausstellung der Künstlerin Xiao Hui Wang. Ein Teil der Präsentation waren großformatige Fotos, die junge Frauen in Arrangements zeigen, die man für den Begegnungsraum edler chinesischer Bordelle halten könnte, die aber keine sein sollen. Keine Sozialkritik, nur ein bisschen Ästhetik der Sünde, brav in Szene gesetzt. Die Würze der Verruchtheit wurde mit einer Fotoshop-Bearbeitung noch etwas gesteigert.

Weiter hinten in den Ausstellungsräumen wechselt das Genre zu Fotoarbeiten, die aus technischen Detailaufnahmen nicht ableitbarer Herkunft mit unklarer Bearbeitungen „abstrakte Formen“ hervorbringen, die, wie sollte es anders sein, an chinesische Tuschezeichnungen erinnern.

 

 

Ein Film über die Künstlerin, der auf einem Monitor zu sehen war gibt deren sozialen Hintergrund. Im Stile kommunistischer Propaganda- und Jubelfilme wurde sie als hochrangige Staatskünstlerin portraitiert, die als Professorin, in einvernehmlichem Kontakt mit den Staatsgrößen und Prominenten mit Ehren dekoriert wird, und in öffentlichen Auftritten glänzt. Ein Projekt, in dem ihre Studentinnen und Studenten die Dächer von hunderten von Kleinwagenmodellen im Spielzeugformat unterschiedlich bemalt hatten, wurde als eine ihrer weiteren Arbeiten gezeigt. Auf einem Poster war die Gesamtzahl diese Fleißarbeit in Reih und Glied in winzigen Repros quasi als Raster aufgelistet. Hier wird geklotzt ! So auch mit dem 4 kg – Katalog, der auf extra dickem Papier das Gewicht eines documenta - Kataloges topt ! Der Katalog einer Anselm Kiefer Ausstellung, die früher hier stattfand, der direkt daneben steht, nimmt sich dagegen bescheiden aus.

 

 

In der Ausstellung findet man eine Zeitschrift deren Titel so lautet: „ab 40“ Zeitschrift von, für, über Frauen. Wie sie leben, wie sie denken, wer sie sind.“ Frau Wang ziert das Titelblatt! sie wirkt sympathisch! Darin lesend erfährt man, Frau Xiao Hui Wang war lange stellvertretenden Direktorin der Auskunftsstelle der Stadtregierung von Shanghai. In dem anschließend abgedruckten Interview werden ihr Fragen gestellt wie: „Wie bist du mit dem Druck klargekommen, so viele Jahre lang Pressesprecherin zu sein? Oder : „Du stehst in der Öffentlichkeit und giltst als schöne Frau. Wann empfindest du eine Frau als schön?“ Kein Wort in dem fünfseitigen Gespräch über die Arbeit als Künstlerin. Das bisschen Fotokunst macht die Frau von Welt mit Lehrstuhl und helfenden Studentinnen nebenbei! Kommt es denn auch dem repressiven Staat sehr entgegen, zu zeigen, dass es in Chinas Künstlerschaft nicht nur subversive Subjekte wie Ai Weiwei gibt.Bei einer solchen Ausstellung darf eines natürlich nicht fehlen, die Ästhetisierung des weiblichen Geschlechtsorgans. Was in realer Form, in der es Männer lieben, als Pornografie gebrandmarkt wird, und ähnlich wie echte Bordellfotos Anstoß erregen würde, wird als florales Zitat gleichsam zur botanischen Kunst. Es gibt eine Unmenge Blumen, deren Blüten sich wie geöffnete Schamlippen fotografieren lassen. Fotos von Blüten oder Darstellungen, die wie Blüten aussehen sollen, deren Appel zwischen sexueller Bereitschaft und botanischer Schwärmerei liegt, begegnet man oft in der Arbeit von Künstlerinnen. Der Prachtband „Erotic Flowers“ von Xiao Hui Wang für € 190,- ist darin Spitze.

 

Im ersten Stock begegnet man dann den abstrakten Großformaten des Künstlers Xiaosong Wang. Hier tritt die mangelnde Beleuchtung und der Gilb der Wandfarbe mit der Vibration des ehemaligen Amtsgebäudes in traurigen Einklang. Die Bemühung des Kollegen mit Massen an Ölfarbe die auf den Riesenformaten direkt aus der Tube auf das Schwerleinen aufgebracht sind, Eindruck zu schinden, ergeben mit den komischen Titeln einen merkwürdigen Eindruck. Xiaosong Wang „Spannender Kern“, Öl auf Leinwand, 200 x 350 cm Warum macht das Museum Ludwig eine solche Ausstellung? Von einem Mitarbeiter erfährt man, dass der Sammler Ludwig weltweit elf Museen unterhält. Zurzeit expandiert er nach China und platziert dort ein weiteres Museum. Da müssen schon mal Konzessionen an die Entscheider gemacht werden, das ist bei uns nicht anders! Angesichts der großen Leistung dieses Mäzens und dessen Bedeutung, sollte man keine Kritik üben. Die Dinge stehen oft miteinander in Verbindung. Die aktuelle chinesische künstlerische Produktion wäre ohne die westlichen Vorbilder nicht denkbar und entfaltet sich nach ihrem eigenen überehrgeizigen. auf Expansion gestimmten Impetus. Was sich hier allerdings ungeschminkt und unbemäntelt zeigt, findet man in abgemilderter Form an „Positionen“ bei uns auch.

 

 

Die Art Basel Miami Beach, 6.-9.12. 2012

11 Jahre 29 Wochen bei Edgar Diehl

Art Basel Miami Beach

Als Lue und ich Anfang Dezember 2012 im Flieger nach Miami saßen, waren wir eingestimmt auf das, was uns in Miami erwarten würde. In der südlichsten Großstadt der USA, die stark unter dem Einfluss hispanischer Einwanderer steht, hat sich vor zehn Jahren die Art Basel, die bedeutendste Kunstmesse der Welt, einen zweiten Spielort gegeben. Da sich im Winter in Miami die Amerikaner, die es sich leisten können, niederlassen, ist es der Ort mit den meisten Millionären und Milliardären des Kontinents.

In Miami werden, wie in Basel, wieder Unsatzrekorde erwartet, wobei noch nicht klar ist, ob Miami Basel darin überragt. Da es zur Hauptmesse der „Miami Basel“, wie die Messe hier genannt wird, 19 Satelliten-Messen gibt, kann man hier außer feiern und am Strand liegen, jedem Menge Kunst sehen.

 

Es war keine Überraschung, dass in Miami wie in Basel zum großen Teil dieselben Galerien auftreten. Das Publikum ist hier lockerer gekleidet, emotionaler, spontaner kaufentschieden, und bei den europäischen Galerien trotzdem nicht beliebter. Tom Wolfe, der große Chronist der US amerikanischen Gesellschaft, schreibt in seinem neuen Roman, „Back to Blood“, der Miami zum Thema hat, und der Ende Januar auf Deutsch erscheint: „ Miami Basel has already been a riot of chocktail receptions, dinner oartys, after partys, covert cocaine huddles, inflamed cating around for going-on three days. Almost anywhere they were likely to enjoy a nice littele status boost from the presence of celebrities- movie, music TV, fashion, who knew nothing about art and didn´t have time to care. All they want was to be...where things were happening!“

 

Mit Messebesuchern konfrontiert, die kaufinteressiert aber auch arglos sind, und sich begeistert über die Schönheit eines Blumengestecks auf dem Tisch äußern, und dabei über die ausgestellte Kunst schweigen, sind manche Galeristen am Ende der Messe entnervt. Man urteilt  in Europa leichtfertig über die Oberflächlichkeit der Amerikaner und vergisst dabei, dass Europäerinnen ähnlich freudiger auf Blumen reagieren, als auf abstrakte Kunst, es aber gelernt haben, sich mit kompromittierenden Äußerungen zurückzuhalten.

 

Reiche können sich alles erlauben! - Als die ganz reichen Kunden werden sie von den Händlern in Miami an der schlampigen Kleidung erkannt;  was manche exzellent und teuer ausstaffierte Dame verblüfft, dass sie hie und da wegen einem solchen Clochard von einem Galeristen stehen gelassen wird.

 

Am letzten Tag der Hauptmesse der „Miami Basel“ gab es die meisten Besucher. Immer wieder mussten wir uns durch Ansammlungen den Weg bahnen. Warum standen die Leute schweigend da und schauten alle in eine Richtung?  Einmal kam Lue, der einen Abstecher in einen Parallelgang gemacht hatte zurück und sagte, gerade hast du Paris Hilton verpasst. Eine halbe Stunde später, in einer anderen Masse eingepfercht, hörte ich von ihm: da vorne ist die Knowles! Wer zum Himmel ist Knowles dachte ich und fotografierte eine schwarze Schönheit, die in einer Koje selbstbewusst den Fans ins Auge blickte. Beyoncée betrachtete während dessen, von mir unerkannt, in gebückter Haltung einen Meter weiter eine Bodenskulptur. Und dann war es schon zu spät für ein Foto.

 

 

Lue grinste über meine Unwissenheit, was Celebrities angeht. Dabei wurde der junge Mann, der bisweilen ein erstaunliches Charisma entwickeln kann, zwei Mal von jungen Frauen angesprochen, die ihn fragten, in welcher TV-Serie sie ihn schon gesehen hätten. Lue, dessen Freizeitvergnügen es ist, genau solche Serien in Originalsprache zu gucken, und der als Dialektnachahmer auch den US-Tonfall perfekt beherrscht, machte sich einen Spaß daraus, die Mädels in die Irre zu führen. Zum Schluss gab er den andächtig schauenden jungen Frauen Autogramme und gab ihnen gute Ratschläge für den Lebensweg.

 

Das Convention Center, das die Miami Basel mit ihren 250 Teilnehmern beherbergt, beeindruckt mit einem Hektar Grundfläche und hat einer Raumhöhe von sieben Metern.

Natürlich hat jeder seine Bevorzugungen. Ich z.B. schätze die Arbeit von Carlos Cruiz- Diez, dem alten Konkreten Reliefkünstler und freue mich immer, wenn ich eines der exquisiten und sehr empfindlichen Werke zu sehen bekomme. Als ich am Stand einer belgischen Galerie ein frühes Werk von CCD für $180.000 sah und den Händler fragte, warum das so teuer sei, der Marktpreis für eine solche Arbeit liegt nämlich bei einem Drittel davon, meinte er, dass ein so frühes Werk selten sei. Ich solle mal schauen, wie viel Neues man von diesem Künstler hier auf dem Markt gebracht hat. Und so war es auch. Auf dieser und auf zwei Parallelmessen sah ich mehr CCDs, als in meinem ganzen Leben zuvor. Aber sie gefielen mir nicht mehr so wie früher. Sie wirkten technischer, kälter. Das Angebot war zu groß. Da hatte einer die Produktionsmaschinerie angeworfen.

 

 

Ein amerikanischer Kollege führte uns in die Hierarchie der 19 (!) Satelliten- Messen ein. Downtown zählen die „Art Miami“ und die „Context“ sowie die „Miami Project“ zu den interessanten Artfairs mit jungen Galerien und guten Künstlern. In Miami Beach ist es die „Pulse“! Direkt neben diesen dreien, die in gut ausgestatteten klimatisierten Zelten untergebracht waren, fand man auch eine Artfair wie die „Red Dot“. Hier erstaunt die organisatorische Leistung eine solche Vielzahl von Galerien mit kohärentem Niveau zusammenzubringen. So viel Kitsch, Stand an Stand, bekommt man in Europa nicht zu sehen . Allerdings betrachte ich das Phänomen Kitsch mit anderen Augen: Der Kitsch ist für die Kunst was der Kompost für die Pflanzen ist. Die Red Dot war die lustigste Messe! Einfache Menschen lieben den Kitsch. So war hier auch das Publikum volkstümlicher. Zur Ehrenrettung muss man sagen, dass in der vergleichbaren Schicht der alten Welt die Freude am Dekor begrenzt ist. Kunst oder Kitsch, beides spielt bei einfachen Menschen in der Alten Welt nur in der Vorstellung eine Rolle. Sie dekuvrieren sich nicht durch eine Ausstellung schlechten Geschmacks in Form einer Anschaffung, die es Wert wäre, kritisiert zu werden. In den USA ist das anders. Hier hat niemand Scheu, sich zu exponieren, auch weil man hier nicht in dem Maße Kritik zu erwarten hat wie in der alten Welt. Amerikaner begeistern sich gerne. Die Energie, die bei uns in Reflexion und Kritik geht, fließt bei ihnen in die nächste Unternehmung.

 

Gemessen am kaufkraftbereinigten Pro- Kopf- Einkommen, dem Einzelindikator für gesellschaftlichen Wohlstand, sind die USA noch immer die reichste der großen Industrienationen. Das wären auch nach einer Rezession noch der Fall. Das vergisst man im krisenbewussten Europa gerne. So ist das Kaufklima in den USA nie unbegründet negativ wie z.B. gerne mal in Deutschland, oder auch in Australien.

 

Miami hat das höchste Pro-Kopf- Einkommen der USA. Wer teure Luxusautos liebt, kommt hier auf seine Kosten. Die hochgeschätzten europäischen Marken Daimler, BMW und Audi sind hier Standard. Dazu aber sieht man jede Menge der teuersten Marken der Welt. Rolls, Bentley, Lamborghini, Ferrari, Maserati etc. Lue war in seinem Element. Den Straßenkreuzer, den wir gemietet hatten, steuerte er mit großem Wohlgefallen.

 

Seit die Sammler-Familie Rubell im Jahr 2002 der Art Basel den Weg nach Miami geebnet hat, entwickelt sich hier eine Kunstszene, die sich im Stadtteil Wynwood niedergelassen hat. Das eine Millionenstadt mit den reichsten Bürgern der USA eine solche Initialzündung brauchte, eine nennenswerte Kunstszene zu entwickeln, wirft ein Licht auf das Phänomen Kunst und deren Vermarktung. Die kubischen Gebäude von Wynwood, die ehemals für Kleinindustrie gebaut wurden, sind allesamt mit Graffiti dekoriert. Ein ungewohnt bilderfreundlicher Eindruck und ein starkes Signal.

 

 

 

Die Sammlung der Rubells enttäuschte, was man von keiner der sieben Messen, die wir besucht hatten, sagen könnte. Außer einem großen Neo Rauch, der hier deplaziert wirkt, ist da eine Zusammenkunft von Namen und Werken, die ich nicht verstanden habe. Hier wird kein roter Faden sichtbar, aber die Liebe zum Effekt. Man hat den Eindruck, dass hier ein Weg eingeschlagen wurde, die eigene Peergroup auf eine neue Art zu beeindrucken. Man kauft Kunst ein, die alle Erwartungen enttäuscht und den Besuchern die Frage aufdrängt, nach welcher geheimnisvollen Idee in dieser disparaten Sammlung aufgebaut wird. Unter Milliardären kann man nicht mehr mit den übertrieben hohen Einkaufspreisen für die aktuell angesagten Werke und Künstler beeindrucken. Man muss die Besucher ratlos machen und gibt ihnen das Erlebnis, nichts verstanden zu haben. Irgendwie erinnert mich das an so manche Eröffnungsrede, die ich im Laufe der Jahre zu Hause gehört habe.

 

 

 

 

 

Miami ist eine sehr schöne Stadt, die mit vielen, im Art Deco entstandenen Gebäuden und solchen Vierteln punktet. Der Reichtum, die Meereslage und das tropische Klima, die Zusammenkunft der hispanischen und der nordamerikanischen Kultur erzeugen eine eigene Stimmung. Wie man lesen kann, bietet sie Stoff für einen aktuellen, aufschlussreichen Roman!